Nach wie vor rücken Bilder für Spendenkampagnen auf vorurteilsbehaftete Weise Menschen im Globalen Süden in den Mittelpunkt. Wo bleibt das Umdenken?
Alle Jahre wieder: Weihnachtszeit ist Spendenzeit. An vielen Orten zieren Bilder von Krisengebieten die riesigen Werbeflächen, die zum Spenden anregen sollen. Notleidende Kinder, die mit großen, traurigen Kulleraugen auf potenzielle Spender:innen hinaufblicken, Menschen in zerlumpten Kleidern in ländlichen Gebieten und weiße Helfer:innen, die als ihre Rettung dargestellt werden. Hilfsorganisationen nutzen nach wie vor klischeehafte Darstellungen von Menschen im Globalen Süden.
Seit Jahrzehnten fordern Kritiker:innen immer wieder ein Umdenken. Bereits im Jahr 1981 prangerte etwa Jorgen Lissner, Mitarbeiter einer dänischen Hilfsorganisation, die Verwendung von Bildern hungernder afrikanischer Kinder in Spendenkampagnen an. Er bezeichnete diese Darstellungen als „soziale Pornografie“, da sie die Kinder zu hilflosen Objekten degradieren und ihre Menschenwürde verletzen würden.
Über 40 Jahre später ist das Thema noch immer präsent. Der Dokumentarfilm „White Charity“ von Carolin Philipp und Timo Kiesel aus 2011 übersetzte diese Kritik ins 21. Jahrhundert: In einem Projekt wurden über 200 Werbeplakate deutscher entwicklungspolitischer NGOs aus einer rassismuskritischen, postkolonialen Perspektive analysiert.
Das Ergebnis: Mehrere der Plakate zeichneten das Bild vom „modernen, aufgeklärten, weißen Europäer”, der mit seiner Spende ein Stück Zivilisation nach Afrika bringt. Die Menschen dort hingegen werden pauschal als hilfsbedürftig, Mangel erleidend dargestellt.
Koloniale Fantasien. Die defizitorientierte Darstellung der Menschen im Globalen Süden in Spendenkampagnen ignoriere die Handlungsfähigkeit der dort lebenden Menschen, erklärt Aram Ziai. Er ist Professor für Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel. „Diese Bilder reproduzieren das Verständnis, dass es im Globalen Süden Probleme gäbe, bei denen wir im Norden denen im Süden zeigen müssen, wie das mit der ‚Entwicklung‘ geht“, so Ziai.
Er forscht zu Post-Development, einer Theorierichtung innerhalb der Entwicklungsforschung, die das Konstrukt „Entwicklung“ fundamental kritisiert. Der defizitäre Blick auf den Globalen Süden entsteht, so der Ansatz, indem sich westliche Industrieländer als „entwickelt“ definieren und die restlichen zwei Drittel der Welt als „unterentwickelt“ betrachten.
Für Ziai ist klar, dass es Organisationen zunächst primär darum geht, möglichst viele Spenden einzunehmen: „Gesamtgesellschaftlich könnte man vermuten, dass es um Selbstvergewisserung geht und um die Konstruktion eines handlungsfähigen, wohltätigen Selbst gegenüber einem hilflosen, hilfsbedürftigen Anderen.“
Ähnlich sieht das Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Fachreferent für Dekolonisierung beim Entwicklungspolitischen Ratschlag der Stadt Berlin. Darstellungen auf Kampagnenplakaten haben für ihn eine enorme Wirkungsmacht. Oft würden sie auf kolonialen Fantasien basieren und als „soziale Platzanweiser“ fungieren. In den Darstellungen der Menschen aus dem Globalen Süden lassen sich laut Della koloniale Kontinuitäten erkennen, in denen der Globale Norden nach wie vor die Rolle des Helfers mit Lösungskonzept spielt: „Die Bebilderung stammt aus einer Zeit, in der erklärbar gemacht werden sollte, warum die europäischen Staaten und Gesellschaften im Recht waren, als sie andere Staaten kolonisierten“, so Della. „Diese Bilder sind in unser gesellschaftliches Selbstbild eingeschrieben und werden immer wieder abgerufen.”
Zwar gebe es nur mehr selten offensichtlich rassistische Spendenwerbungen, ein klassischer, klischeehafter Zugang sei aber für Della nicht förderlich, wenn es darum geht, die tatsächlichen Ursachen von Armut, Hunger und Krisen zu verstehen. Stattdessen würden die Bilder in Spendenkampagnen primär dazu dienen, Mitleid und Mitgefühl zu erwecken.
Blickwechsel
Der interkulturelle Kunstverein Ipsum arbeitet weltweit mit Menschen in unterschiedlichen Alltagsituationen. Grundlage dabei ist die Fotografie: Indem Menschen in Projekten den Blick auf ihre Welt festhalten und anderen nahebringen, wird Gemeinsames erkennbar und Trennendes verhandelbar. ipsum.at
Die in der Schweiz ansässige Plattform fairpicture.org stellt für sich den Anspruch, „faire“ Fotos aus aller Welt anzubieten. Konkret heißt das, dass die angebotenen Stories und Fotos laut Angaben der Initiative nicht Klischees entsprechen, fair bezahlt und transparente Infos und Kontext mitgeliefert werden. red
Die Macht der Bilder. In Österreich gibt es mit Ipsum einen Verein, der mit NGOs zusammenarbeitet, um einen Wandel zu erreichen: „Es beginnt bereits mit scheinbar simplen Entscheidungen: Wie fotografierst du eine Person, von oben oder von unten? Welchen Hintergrund wählst du für das Bild?”, erklärt Helena Manhartsberger, Journalistin und Fotografin bei Ipsum.
Sie betont, dass selbst einzelne Elemente und Details in Fotos dazu beitragen können, exotisierende Darstellungen zu wiederholen, die an die kolonialen Bilder erinnern.
Ipsum bietet u. a. Workshops an. Ziel ist es dabei, die Vielfalt und die individuellen Geschichten hinter den Menschen in den Fokus zu rücken und Stereotypen zu vermeiden. Dies soll dazu beitragen, die Verfestigung kolonialer Vorstellungen zu verhindern und einen respektvolleren Umgang mit den abgebildeten Personen zu fördern.
Richtlinien & Checklisten. Wie gehen österreichische NGOs mit dem Thema um? Das Südwind-Magazin fragte bei Caritas, Rotes Kreuz und Care nach. Drei Organisationen, bei denen Spendenkampagnen ein zentraler Teil des Auftrittes in der Öffentlichkeit sind. Alle drei verweisen auf Reflektionsprozesse, die rund um die Bildauswahl für ihre Spendenkampagnen stattgefunden haben. So haben alle Richtlinien dazu.
Care hat gemeinsam mit anderen NGOs einen „Pledge for Change”, ein Versprechen für einen Wandel, entwickelt und implementiert: Bilder und Videos sollen u. a. „Würde, Entschlossenheit, individuellen und gemeinschaftlichen Stolz“ hervorrufen, heißt es darin. Und weiter: „Es ist aber auch in Ordnung, Bedürfnisse oder Probleme dort aufzuzeigen, wo sie bestehen, um ein authentisches Bild der Lage vor Ort zu vermitteln.”
Auf pledgeforchange2030.org wird darauf aufmerksam gemacht, dass man die „harte Realität” von humanitären Krisen nach wie vor zeigen, künftig jedoch Bilder von Menschen als hilflose Opfer vermeiden möchte.
Würdevolle Darstellung. Betroffene würdevoll darzustellen, das ist auch für das Rote Kreuz ein Anliegen. Die Organisation hat dafür eigene Regeln für Fotograf:innen festgelegt. Dabei versucht man einen Spagat zu schaffen zwischen den Richtlinien und der Spendenlukrierung: „Jede Bebilderung von Betroffenen ist ein Stück weit eine ‚Zur-Schau-Stellung‘. Für den Bereich des Fundraisings ist Ethik relevant, aufgrund der Wirkungsorientierung ist es aber immer gleichzeitig notwendig, auf Effektivität und Effizienz zu achten“, so die Kommunikationsabteilung des Roten Kreuzes gegenüber dem Südwind-Magazin.
Das Rote Kreuz betont dabei, dass die Sichtbarkeit der Hilfe nach wie vor einen wichtigen Teil ihrer Bildauswahl ausmacht.
Ähnlich sieht das die Caritas: Die Organisation verweist auf eine „Checkliste”, die auf Basis ihrer Ethik- und Gewaltschutzrichtlinien entwickelt wurde. Unter anderem wird hierbei festgeschrieben, dass Menschen auf Bildern nicht als passive Opfer bzw. Hilfsbedürftige, sondern als handelnde Subjekte dargestellt werden sollen.
Fotografin Manhartsberger von Ipsum findet es wichtig, dass es Code of Conducts und Checklisten für NGOs und ihre Spendenkampagnen gibt, weist jedoch darauf hin, dass die Umsetzung vor Ort oft auf die Probe gestellt wird. Im Büro können Entscheidungen sorgfältig abgewogen und verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden, aber in der Praxis im „Feld“ sei das dann durchaus komplizierter; so können Kommunikationshürden zu einer Herausforderung werden.
Helena Lea Manhartsberger, Fotojournalistin und Mitglied von Ipsum: „Es beginnt bereits mit simplen Entscheidungen: Wie fotografierst du eine Person?“
Zudem gebe es kein allgemeingültiges Regelwerk, das für jede NGO passe. Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass der Anspruch einer dekolonialen Bildauswahl mitunter im Konflikt mit den Fundraisingzielen der Organisationen stehen kann. Gespräche mit Vertreter:innen verschiedener NGOs zeigen, dass es intern durchaus unterschiedliche Perspektiven auf die Verwendung von Bildern aus dem Globalen Süden geben kann, wenn es darum geht, gewisse Spendenziele zu erreichen.
Emotionen bringen Geld. Die Bilder, die am meisten Geld generieren, sind oft jene, die am meisten emotionalisieren. Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland warnt davor, diesen Zwiespalt zu akzeptieren. Er betont, dass die Art und Weise, wie Spenden gesammelt werden, niemals auf Kosten derjenigen erfolgen sollte, die von Rassismus betroffen sind: „Wenn wir Menschen als bloße Projektionsfläche nutzen, um Spenden zu generieren, missbrauchen wir diejenigen, die wir unterstützen und mit denen wir zusammenarbeiten möchten,“ betont er.
„Dieser Perspektivenwechsel kann durchaus dazu führen, dass weniger Spenden eingehen. Dennoch dürfen wir nicht an einem System festhalten, nur weil es effizient erscheint. Vielmehr sollten wir darüber nachdenken, wie wir Gesellschaften nachhaltig verändern können, um globale und koloniale Gerechtigkeit zu fördern.”
Als Positivbeispiel auf internationaler Ebene führt Della die NGO Oxfam an: „Die Menschen, die dort arbeiten, verstehen sich nicht nur als Teil einer Spenden-NGO, sondern bemühen sich aktiv um innovative Kooperationsmodelle und den Aufbau neuer Strukturen im Globalen Süden.
Und sie haben keine Angst davor, offene Gespräche über Rassismus und die koloniale Vergangenheit der Entwicklungszusammenarbeit zu führen, die weiterhin Auswirkungen auf aktuelle Probleme in einigen Regionen haben”, so Della.
Entwicklungszusammenarbeit muss laufend reflektiert werden, findet auch Fotografin Manhartsberger: „Wir müssen darüber nachdenken, was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen. Dazu gehört das Überwinden des eurozentristischen Blicks“, so Manhartsberger. „Es geht darum, Entwicklungszusammenarbeit als etwas zu begreifen, das über Geldsammlung hinausgeht und darauf abzielt, solidarisch zu sein und die Lebensbedingungen und die Selbstbestimmung der Menschen im Globalen Süden zu stärken.” Der Anfang sei bei Bildern und Fotos zu machen.
Sara Mohammadi, geboren in Wien, ist freie Journalistin und Studentin der Internationalen Entwicklung mit iranischen Wurzeln. Sie schreibt über Themen wie soziale und globale Gerechtigkeit, Feminismus und Iran.
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